Donnerstag, 16 Juli 2015 12:43

BR BAYERN 2, NOTIZBUCH - NAH DRAN. GEHÖRLOSE STUDENTIN KÄMPFT GEGEN DEN BEZIRK

Lange Bearbeitungsdauer von Anträgen auf Eingliederungshilfe nach dem SGB XII und restriktive Bewilligung von Gebärdensprachdolmetscher-Leistungen an gehörlose Studenten.

Ein Interview einer betroffenen Studentin im BR Bayern2 Notizbuch - Nah dran.

Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es, eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und behinderte Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu zählt die Ermöglichung der Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft, auch in der Form es zu ermöglichen, dass ein angemessener Beruf erlangt wird.

Die rechtliche Anspruchsgrundlage findet sich in den §§ 53 ff. SGB XII i.V. § 13 Eingliederungshilfe-Verordnung.  "Für behinderte Menschen besteht der Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf einschließlich des Besuchs einer Hochschule. "

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 20.09.2012 - B 8 SO 15/11 R) ist im Einzelfall jede geeignete Eingliederungsmaßnahme darauf zu untersuchen, ob sie unentbehrlich zum Erreichen der Leistungsziele ist.  Die Hilfe wird daher nur dann gewährt, wenn jede Form der Selbsthilfe ausgeschöpft ist und keine konstengünstigere Lösung vorhanden ist, welche gleichermaßen geeignet ist.

Im Weiteren wird nach der Eingliederungshilfe-Verordnung verlangt, dass zu erwarten ist, dass das Ziel der Ausbildung oder der Vorbereitungsmaßnahmen erreicht wird, der beabsichtigte Ausbildungsweg erforderlich ist, der Beruf oder die Tätigkeit voraussichtlich eine ausreichende Lebensgrundlage bieten oder, falls dies wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht möglich ist, zur Lebensgrundlage in angemessenem Umfang beitragen wird.

Im Rahmen dieser rechtlichen Prüfung kommt es immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten und juristischen Auseinandersetzungen mit dem Sozialleistungsträger, welcher keinen individuellen Maßstab ansetzt, sondern zumeist pauschale Leistungen bewilligt, die für die individuelle Hörbehinderung des Antragstellers möglicherweise aber keinen angemessenen Ausgleich bietet.

Es gibt nicht nur eine "Hörbehinderung"; Hörbehinderungen existieren in vielen unterschiedlichen Formen und damit bestehen auch sehr viele unterschiedliche Kommunikationsanforderungen für hörbehinderte Menschen. Zum Beispiel besteht ein erheblicher Unterschied darin, ob ein Betroffener vor oder nach dem Spracherwerb ertaubt ist, und bspw. ob ein hörbehinderter Mensch von den Lippen ablesen kann oder nicht, etc.

Die Praxis zeigt, dass (vermeintlich) finanziell günstigere Leistungen angeboten werden, obwohl der Antragsteller nachweist, dass diese Leistungen wegen der Art der Behinderung oder fehlender technischer Umsetzbarkeit, nicht in Anspruch genommen werden können. So werden für Studenten auch bei Seminar-Veranstaltungen, welche ja gerade von der gemeinsamen Erarbeitung wissenschaftlicher Themen geprägt sind, lediglich Schriftdolmetscherleistungen bewilligt, anstatt eines beantragten, physisch anwesenden Gebärdensprachdolmetschers. Der hörbehinderte Student wird zur passiven Teilnahme an der Vorlesung gezwungen sowie zum fortwährenden Lesen der seitens des Schriftdolmetschers getippten Übersetzung. Eine aktive Teilnahme am Unterricht wird hierdurch unmöglich gemacht.

Kann eine aktive Teilnahme mit Hilfeleistungen gewährleistet werden, so ist die Verweisung auf eine lediglich passive Teilnahme nicht als eine ausreichende Hilfe zur Eingliederung anzuerkennen. 

Weitere Realität in der Praxis ist es, dass Anträge beim Sozialleistungsträger oftmals nur schleppend bearbeitet werden.

Die Leistungen können in aller Regel erst dann von dem Studenten beantragt werden, wenn der Stundenplan des jeweiligen Semesters bekanntgegeben wird und abgschätzt werden kann, welche konkreten Leistungen für jede einzelne Vorlesung benötigt werden. In zahlreichen Fällen liegt nach Abschluss des Semesters noch keine Bewilligung des Sozialleistungsträgers in Form eines Bescheides vor, so dass der hörbehinderte Student finanziell entweder in Vorleistung treten müsste oder gäntzlich auf die Unterstützung verzichten müsste. Hier ist sodann erforderlich, dass sich der hörbehinderte Student einstweiligen Rechtsschutz über das Sozialgericht gewähren lässt, mit dem Ziel, dass der Sozialleistungsträger vorläufig zur Leistung verurteilt wird.

Hier ist also viel Energie für die Erreichung der Teilhabe in der Gesellschaft aufzubringen. Eine wirkliche Inklusion ist noch nicht erreicht.



BR Bayern 2, Notizbuch - Nah dran. Gehörlose Studentin kämpft gegen den Bezirk